Wie Künstliche Intelligenz die journalistische Arbeit revolutionieren soll

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Der klassische Journalismus steckt in einer Krise. Digitalisierung und verändertes Verhalten bestimmen den Arbeitstag der Medienschaffenden mehr denn je. Abhilfe schaffen soll nun Künstliche Intelligenz. Kann das funktionieren?

Zugegeben: Wenn ich morgens aufwache, fällt mein Blick zuerst aufs Smartphone. Davon mag man halten, was man möchte – wesentlich interessanter ist das, was dort bereits auf mich wartet: Push-Nachrichten zum Aktuellsten aus Politik, Gesellschaft und natürlich dem Promikosmos. 15 Minuten später starte ich so halbwegs gut informiert in den Tag. Content ist eben King – das wusste schon Bill Gates.

Doch wer schafft diesen Content – und vor allem: wie? Denn seien wir mal ehrlich: Der Journalismus hatte es schon einmal leichter. Die Digitalisierung bringt zwar große Innovationen, stellt aber gemeinsam mit der Globalisierung die Redaktionen auch vor ebensolche Herausforderungen. Tempo und Nachrichtenmenge haben in den vergangenen Jahren massiv zugenommen und tun es noch immer. Heute vergehen bis zur ersten Eilmeldung auf dem Smartphone oft nur Minuten. Der komplette Artikel wird nicht viel später online publiziert – inklusive SEO-optimierter Überschriften und Teasern für verschiedene Onlineplattformen, versteht sich. Die Zeiten in denen Journalisten mindestens einen gesamten Redaktionstag hatten, um die Geschehnisse hinter einer Nachricht zu recherchieren und textlich gut zu verpacken, sind endgültig vorbei. Das journalistische Produkt wird zum Prozess: Bildergalerien, Linksammlungen und Texte wachsen mit jedem neuen Erkenntnisstand.

Bertie soll’s richten
Wie ist das zu schaffen? Wenn es nach den Machern des Wirtschaftsmagazins Forbes geht, mit Künstlicher Intelligenz. Sie stellten ihren Redakteuren im vergangenen Sommer erstmals das Content-Management-System (CMS) Bertie zur Seite. „CMS? Nicht wirklich aufregend oder gar bahnbrechend“, werden viele nun sagen. Stimmt. WordPress, Blogger oder Magento – alles schon gehört. CM-Systeme gab und gibt es zur Genüge. Keines konnte bisher die Probleme des modernen Journalismus lösen oder zumindest einen Ansatz dafür liefern. Also: Wie macht Bertie den Unterschied?

Zuerst einmal ist Bertie ziemlich aufmerksam. Er liest mit – und zwar alles, was der Redakteur in der Vergangenheit für Forbes geschrieben hat. Dabei ist es ihm egal, ob es sich thematisch um Industrie, Lifestyle oder Finanzen handelt.

Und weil er nicht nur aufmerksam, sondern auch hilfsbereit ist, macht er Folgendes: Er empfiehlt den Schreibenden passend zu deren Publikationen, Themen, Überschriften, Recherchelinks, Bilder … und für den perfekten Social-Media-Auftritt auch Hashtags.

Ende gut, alles gut: Bertie macht, wofür er programmiert wurde, der Journalist spart Zeit und Nerven, und der Nutzer bekommt qualitativen Content in relativ kurzer Zeit. Und das ist erst der Anfang: In der Forbes-Zukunftsschmiede arbeitet man bereits an Berties „großem Bruder“, einem CM-System, das eigenständig Texte verfassen kann.

Künstliche Intelligenz: Be- oder Entlastung? 
Es könnte alles so schön sein, wenn da nur nicht die Sache mit der Verantwortung wäre. Denn nüchtern betrachtet ist jede Künstliche Intelligenz nur so gut, wie die Menschen, von denen sie lernt. KI Systeme arbeiten auf Grundlage menschlicher Informationen und Befehle. Was also, wenn eben diese Ausgangsdaten etwa eine politische, gesellschaftliche oder moralische Tendenz haben? Künstliche Intelligenz hat kein Gewissen, sie entscheidet nicht nach moralischen Standards. Ein Beispiel: Die US-Regierung versuchte mit einer KI zu entscheiden, ob Gefängnisinsassen früher entlassen werden können. Das Experiment scheiterte, weil der Algorithmus rassistisch motivierte Entscheidungen fällte.

Der Journalismus als Meinungsbildner hat nicht den Luxus, scheitern zu dürfen. Sicherlich wäre es bequemer, die Berichterstattung über unangenehme Themen zukünftig an eine künstliche Intelligenz „abzuschieben“. Es macht aber auch dumm. Denn wie soll ein Redakteur etwas qualitativ einschätzen, wenn er sich nie in Gänze damit beschäftigt hat? Für mich klingt das nach „Filterblase“. Die mag zwar in Social Media praktisch sein, weil mir nur meine Interessen angezeigt werden, sie spiegelt aber keinesfalls die Realität wieder.

Dennoch bringt die Digitalisierung unwiderlegbare Vorteile – auch für den Journalismus. Daten und Informationen können per Mausklick in Sekunden allgemein zugänglich gemacht werden. Das erleichtert es, gesamtpolitische Zusammenhänge einzuschätzen – oder auch Missstände aufzudecken. Und ja, Künstliche Intelligenz kann Daten sammeln und wird diese zukünftig in verständlichen Texten widergeben. Das ändert viel für den Journalismus, bedroht ihn aber nicht. Denn woran es KI fehlt, ist Kreativität – und die Fähigkeit, Zusammenhänge zu schaffen. Darin wird sie niemals so gut sein wie der Mensch. Deswegen brauchen wir heute und in Zukunft gut ausgebildete und informierte Journalisten. Ihnen können CM-Systeme wie Bertie die Recherche erleichtern und dabei helfen, noch bessere Artikel zu verfassen. Künstliche Intelligenz wird den Menschen niemals ersetzen, aber entlasten und stützen. Letztendlich entscheiden wir, ob wir darin eine Konkurrenz sehen – oder eben nicht.

Text: Annika Schneid
Fotocredit: Getty Images/TarikVision