A P R I L 2 0 2 3 · 7, 5 0 E U R O · D U P - M AG A Z I N . D E Gesamtauflage: 294.334 Exemplare UNTERNEHMER Plattform für Digitalisierung und Nachhaltigkeit 1 0 1 0 5 7 0 8 8 5 6 8 9 1 4 FAST FORWARD Lektionen für die Zukunft: Was sich in unserem Land ändern muss – und wird! Jetzt im neuen Deutschland-Buch ABGESICHERT Grünen-Politiker Anton Hofreiter über nachhaltige Altersvorsorge INNOVATIV Wie Unternehmen den Kampf um die besten Talente gewinnen

EDITORIAL MUT ZUM WANDEL LIEBE LESERIN, LIEBER LESER, wie in vielen Familien gibt es auch bei uns zum Jah­ reswechsel ein festes Ritual: Die Familie sitzt zusam­ men, und alle erzählen, was im vergangenen Jahr für sie bedeutsam war und was sie sich vom neuen Jahr erhoffen. Der Blick in das Jahr 2023 war überwiegend von persönlichen Ereignissen geprägt: einer Hochzeit, ei­ nem neuen Hund, einer großen Reise. Aber natürlich haben wir auch über die jeweilige Arbeitswelt sowie über deren Veränderung gesprochen. Und mein Neffe hat versucht, mir seine Sicht auf das Metaverse zu er­ klären. Einen Ausblick auf das Ende des Jahrzehnts haben wir allerdings nicht gewagt. WAS BRINGT DAS JAHR 2030? Nicht zuletzt aufgrund der diversen globalen Krisen scheint das Jahr 2030 derzeit auch noch sehr weit weg zu sein. Doch die Beschäftigung mit aktuellen Pro­ blemen darf nicht dazu führen, dass mittel­ und lang­ fristige Entwicklungen aus dem Blickfeld der Öffent­ lichkeit verschwinden. Deshalb haben Multiaufsichtsrätin Ann­Kristin Achleitner und Hagen Rickmann, Geschäftsführer des Geschäftskundenbereichs der Telekom Deutschland, 33 Expertinnen und Experten gebeten, aufzuschreiben, was sie bis 2030 in ihrem Fachgebiet kommen sehen beziehungsweise welche Veränderungen sie für erfor­ derlich halten. Das Themenspektrum reicht von Deep­ tech über Food, Health und Klima bis hin zu Raum­ fahrt und Verteidigung. Beurteilen Sie selbst, ob Sie diesen Blick auf die Zukunft teilen. Ab Seite 8 finden Sie die wichtigsten Thesen aus dem Buch „Next.2030“. Was auf der Themenliste allerdings fehlt, ist die Politik. Denn: Damit Deutschland im Jahr 2030 wett­ bewerbsfähig ist, braucht es in der Politik schon jetzt mehr Mut, um die in allen Bereichen anstehenden Ver­ änderungen entweder mit schnellerer oder weniger Regulierung zu begleiten. Die Regierungskoalition hat es bei der Energie­ gewinnung – Stichwort LNG­Terminals – vorgemacht. Diesen Bruch von Tabus und eine schnelle neue Ge­ setzgebung wünsche ich mir unter anderem auch in der Bildungs­ und Gesundheitspolitik. BRIGITTE ZYPRIES Herausgeberin des DUP UNTERNEHMER-Magazins - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Sie haben Lob, Kritik, Anregungen? Schreiben Sie an redaktion@DUP-magazin.de Gu t en Tag, Fr au Mülle r, hie r uns e r e Top -T h em en d e r Wo ch e: - H y b r i d e A r b e i t s we l t : Te l e p r e s s u r e ve r h i n d e r n - V ir t ue lle K un s t : L o hnen I nve s t men t s? - Recr uit ing: Mit var iablem G ehalt punk ten H e r z lich e G r ü ß e, Ihr J ens d e Buhr ( Ve r lege r) Te lep r e s su r e: D ie neue Vo lks k r a nk he it? We n n d i e G r e nze n z w i s c h e n A r b e i t u n d Pr i va t l e b e n im H o m e of f i c e ve r- s c hw im m e n , f ä l l t A b s c h a l te n s c hwe r. D e r g e f ü h l te D r u c k , s t ä n d i g e r- r e i c h b a r s e i n zu m ü s s e n , h e ißt Te l e p r e s s u r e. D i e Fo l g e n: S t r e s s , U nzu - f r i e d e n h e i t m i t d e m Jo b, B u r n - o u t . D a m i t e s n i c h t s o we i t ko m m t , s i n d A r b e i tg e b e n d e i n d e r P f l i c h t , M a ßn a h m e n zu e r g r e i fe n . H i e r we i te r l e s e n DUP WEEKLY: IHR UPDATE —› Das wöchentliche Newsletter-Update für Unternehmerinnen und Unternehmer —› Wichtige News & Trends aus den Bereichen Digitalisierung, Führung & Nachhaltigkeit Anmelden unter DUP-magazin.de/newsletter DUP UNTERNEHMER 03

Arbeitgeber der Zukunft Deutsches Innovationsinstitut für Nachhaltigkeit und Digitalisierung In Kooperation mit Gratis- Check [ Seite 37 ] Ist Ihr Unternehmen zukunftsfähig aufgestellt? Ist es attraktiv für junge Talente? Die DIND-Checks zeigen Ihnen, ob Sie ein „Arbeit geber der Zukunft“ sind oder „Top Service“ anbieten! 57 „Eine Firma, die das Leben feiert“: Georgia Näder, erst 25 Jahre alt, meistert den Dreiklang aus Auf- sichtsratsposten, Start-up-Gründung und Universitätsabschluss 58 „Wir brauchen mehr Programme auf Augenhöhe“: Carina Frings und Christian Steiger diskutieren, wie es mehr weibliche Gründungen geben könnte 60 Neue Regeln für Investoren: Die Arztpraxis als GmbH und warum sich immer mehr Medizinerinnen und Mediziner für eine Anstellung zentren interessieren in Medizinischen Versorgungs- 62 Digital gut versorgt: Telemedizinische Lösungen haben das Potenzial, die Patientenver- sorgung in Zukunft zu sichern und zu verbessern 63 Raus aus dem Schongang: Kolumne von Dr. Bilgen Kurt zum Nutzen von körperlicher Aktivität SPEZIAL: DEUTSCHER EXZELLENZ-PREIS 64 Exzellente Arbeit verdient einen Preis: Das sind die Gewinner des Deutschen Exzellenz-Preises 2023 68 Vorreiter in Sachen Digitalisierung: Erstmals wurden beim Deutschen Exzellenz-Preis die „Digital Cham- pions“ ausgezeichnet INHALT 86 One Night in Brüssel: Wir testen den neuen Lexus RX 500h F SPORT bei einer Nachtfahrt durch die belgische Hauptstadt 89 Kia elektrisiert: Der Kia Niro gewann Ende 2022 das „Goldene Lenkrad“, der Kia EV6 wurde im März 2022 zum „Car of the Year“ gekürt LIFE & STYLE 92 Tour de Nord: Mit dem Camper auf einem Roadtrip durch Norwegens spektakuläre Natur 94 Zwei neue Inselstars! 2023 eröffnen zwei neue Luxus- Resorts der Ikos-Gruppe auf Korfu und Mallorca 96 Work Life Hotels: Wohin führt der Weg in der Hotellerie? Interview mit Yoram Biton von den Leonardo Hotels 97 Vom Luxus zu shoppen: Was sich zwei Shopping-Villages aus Süddeutschland einfallen lassen, um gegen Amazon & Co. zu punkten 98 DUP-Buchtipps & Impressum KARRIERE & NACHFOLGE 70 Schönes neues Arbeitsleben: Marc Seiffert hat sich dazu ent- schieden, eine bis dato familien- geführte Firma zu kaufen 73 Im Wandel: Zehn Tipps für die Nachfolgere- gelung in Familienunternehmen 73 Ein Marktplatz – 3.000 Chancen: Über das Portal DUB.de finden Verkäufer und Käufer von Unter- nehmen sowie Franchisegeber und -nehmer zusammen 76 Einmal Coach, immer Coach: Peter Starzmann hat als Vermögens- berater seine Berufung gefunden AUTO & MOBILITÄT 80 Showdown im Sand: Die Rallye Dakar 2023 war nicht nur ein Duell zwischen Audi und Toyota, sondern auch eines zwi- schen Elektroantrieb und Benziner 82 „Zur Klimaneutralität im Verkehrs- sektor führen mehrere Wege“: Wasserstoffexperte Kurt- Christoph von Knobelsdorff zu Gast beim DUP INNOVATION TALK Im Januar versuchte Audi, die Rallye Dakar grüner zu machen und mit dem Hybriden RS Q e-tron zu gewinnen. Doch es triumphierte Toyota mit dem Benziner Hilux T1+ [ Seite 80 ] 05 DUP UNTERNEHMER

MOBILITÄT VON MORGEN „Wasserstoff hat das Potenzial, den gesamten Verkehr zu dekarbonisieren“, sagt Toyota-Präsident André Schmidt. Zukunftslösungen im Überblick. Ab Seite 12 DIE MEDIZIN DER ZUKUNFT „Digital vor ambulant vor stationär“: Dr. Jens Baas von der Techniker Kranken- kasse erklärt, was die Digitalisierung für die Medizin von morgen und übermorgen bedeutet und warum clevere Daten- nutzung enormen Fortschritt bringen kann. Ab Seite 14 PERSPEKTIVEN FÜR DEN HANDEL Der Online-Handel 2030 wird vor allem eines: effizient. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz können nicht nur die Verbraucher-Erfahrung deutlich verbessern, sondern auch Ressourcen schonen. Ab Seite 20 MULTIMEDIA-STORY Mehr zu unserem Titelthema lesen und sehen Sie in unserer Multime- dia-Story unter DUP-magazin/next2030 07 DUP UNTERNEHMER

Achleitner verspricht: „Wer das Buch liest, wird spü- ren, vor welch großen Herausforderungen wir stehen.“ Sie fordert schon länger, dass der Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland eine Aufholjagd starten müsse. Und sie weiß, dass Veränderungen zum Alltag gehören und dringend notwendig sein werden. Das bestätigt auch ihr Co-Herausgeber Rickmann: „Gerade in herausfordernden Zeiten gilt es, gemeinsam den Fortschritt anzugehen und mutig zu sein.“ Die beiden luden deshalb 33 Autorinnen und Autoren – darunter namhafte CEOs, Gründerinnen und Gründer, Aufsichtsratsvorsitzende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und den USA – dazu ein, der Frage nachzugehen, wie Deutschland bis 2030 doch noch eine Erfolgsgeschichte schrei- ben kann. DIGITALISIERUNG: JETZT ANPACKEN Dass eben diese Erfolgsgeschichte ausge- rechnet im Bereich der Digitalisierung möglich ist, daran glaubt Timotheus Hött- ges, CEO der Deutschen Telekom, ganz fest. Er schreibt in seinem Buchbeitrag: „Wenn jeder Einzelne in seinem Bereich mit anpackt. Wenn wir alle nicht mit dem Finger auf an- dere zeigen, sondern auch in der jeweiligen Einfluss- sphäre tun, was zu tun ist, dann ist Erfolg nicht zu verhindern.“ Für Höttges müsse allerdings eine entscheidende Voraussetzung erfüllt sein: Jede und jeder Einzelne müsse sich für neue Technologien, neue Strukturen und neue Herangehensweisen öffnen. Ihn stimmt po- sitiv, dass Unternehmen, Organisation und Behörden in Deutschland in der Coronapandemie nach einigen Startschwierigkeiten gezeigt hätten, dass sie in der Lage sind, neue Tools einzusetzen und Abläufe zu optimieren, wenn es darauf ankommt. Damit die digitale Transformation allerdings ge- lingen kann, sind gewaltige Investitionen nötig. Da- für müsse auch privates Kapital mobilisiert werden, fordert Stefan B. Wintels, Vorstandsvorsitzender der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), in seinem Beitrag. „Deutschland muss jährlich 100 bis 150 Mil- liarden Euro in Digitalisierung investieren, um im eu- ropäischen Wettbewerb aufzuschließen“, so Wintels. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die KfW zur digitalen Transformations- und Förderbank weiterzuentwi- ckeln, sie dynamisch zu verändern, anpassungsfähiger, effizienter und wirksamer zu machen. PROFESSORIN ANN-KRISTIN ACHLEITNER von der TU München ist Aufsichtsrätin verschiedener börsennotierter Konzerne Wie bei der Digitalisierung ist auch der Weg in die Klimaneutralität nur mit gewaltigen Investitionen zu bewältigen. So schätzt die KfW den Kapitalaufwand in Sachen Klimaschutz auf rund fünf Billionen Euro bis 2045. Sie selbst investiert schon seit 2015 in „grüne Anleihen“ und trägt damit zur Entstehung einer ent- sprechenden Infrastruktur am Kapitalmarkt bei. Diese Aufwendungen allein werden jedoch nicht genügen, es braucht darüber hinaus neue Ideen, Technologien und Lösungen, um beispielsweise eine CO2-neutrale Mobilität zu erreichen. KLIMA: TECHNOLOGIE-MIX MUSS HER Für André Schmidt, Deutschland-Chef des Auto- mobilherstellers Toyota, kann sich diesbezüglich für Deutschland der Blick nach Japan lohnen (siehe Seite 12). Denn Toyota ist Mobilitätspionier und setzt auf dem Weg zu klimaneutralem Verkehr schon jetzt auf ei- nen Technologiemix aus Hybridantrieben, E-Motoren, Brennstoffzellen und vor allem Wasserstoff. Schmidt ist sich sicher: „Wasserstoff hat das Potenzial, den ge- samten Verkehr zu dekarbonisieren – Automobile und Lkw ebenso wie Züge, Schiffe und Flugzeuge.“ GESUNDHEIT: DATEN EFFIZIENT NUTZEN Der Ausbruch der Coronapandemie im März 2020 gilt in vielen Bereichen als Brandbeschleuniger, hat nicht nur in Deutschland Defizite offengelegt und zum Umdenken gezwungen – insbesondere im HAGEN RICKMANN ist Geschäftsführer des Geschäfts- kundenbereichs der Telekom Deutschland DAS DEUTSCHLAND-BUCH „NEXT.2030“ Über den Tellerrand in das digitale Deutschland von morgen schauen – das tun 33 Vordenkerinnen und Vordenker aus Wirtschaft und Wissenschaft im neuen Deutschland-Buch „Next.2030“. Hier treffen Visionen und geballtes Wissen von CEOs, Forschern, Gründern oder Aufsichtsräten aus Deutschland und den USA zusammen. Sie beschreiben, gespickt mit Praxisbeispielen, die Lage des Landes aus ihrer Sicht und bieten Lösungen, Erklärungen, Rezepte. Das Buch entstand auf Initiative des Deutschen Innovationsinstituts für Nachhaltigkeit und Digitalisierung (DIND) mit Unterstützung der Deutschen Telekom. DIND, 282 S., Hardcover 39,90 Euro, Taschenbuch 19,99 Euro, E-Book 17,99 Euro. 09 DUP UNTERNEHMER

DEEPTECH | TITELTHEMA MEHR ALS EIN QUANTENSPRUNG FORTSCHRITT Wie Quantentechnologien Gesellschaft und Wirtschaft transformieren. Hybride Anwendungen gibt es bereits. D ie Quantenphysik sorgt bei Wissenschaft, Menschheit und Technik seit 100 Jahren glei- chermaßen für Faszination und Kopfzerbre- chen. Ihrer Wirkungsweise liegen Fragen zugrunde, die – bis heute – naturwissen- schaftlich nicht vollständig zu klären sind: Welcher Logik folgen die Bewegungen und Kausalitäten auf atomarem und subatomarem Level? Markus Pflitsch vom St. Gallener Unternehmen Terra Quantum gibt Antworten. WAS SIND QUANTENTECHNOLOGIEN? Neutronen, Protonen, Elektronen – was in der Realität unsere Wahrnehmung von Materie bestimmt, wider- spricht auf subatomarer Ebene den Gesetzen der new- tonschen Mechanik. Plötzlich zeigen diese kleinsten Teilchen neben ihren Eigenschaften auch solche Ver- haltensweisen, wie wir sie nur dem Licht zuschreiben: Sie sind Teilchen und Welle zugleich. Wirklich span- nend wird es, wenn wir die „Superposition“ und die „Verschränkung“ – zwei wesentliche Eigenheiten in der Quantenmechanik – hinzunehmen: Die Zustände der Teilchen auf der Quantenebene können sich über- lagern, sie können mehrere Zustände gleichzeitig an- nehmen. Sie lassen sich auch miteinander verschränken, sodass ein Teilchen immer die komplementäre Infor- mation zu seinem Zwillingsteilchen besitzt, egal wo es sich befindet. WELCHE ANWENDUNGSBEREICHE GIBT ES? Die Quantentechnologie wird es möglich machen, Kommunikation und den zugehörigen Datentransfer durch die Verteilung von Quantenschlüsseln vollum- fänglich zu schützen. Mithilfe der Quantensensorik lassen sich Temperaturen sowie elektrische und mag- netische Felder mit größter Präzision messen. In der medizinischen Diagnostik eröffnen derartige Anwen- Neue Möglichkeiten: Quantentechnologie ermöglicht extrem hohe Rechenleistungen und Anwendungen in vielen Bereichen dungen etwa den Blick in die winzigen Magnetfelder von Gehirn und Herz. In der Meteorologie werden präzisere Wettermodellierungen möglich. WAS IST QUANTENCOMPUTING? Quantencomputing zieht aktuell die größte Aufmerk- samkeit auf sich. Denn im Unterschied zu klassischen Computersystemen, bei denen die kleinste Einheit, das Bit, nur die Werte 0 oder 1 annehmen kann, ver- wendet der Quantencomputer Quantenbits (kurz: Qubits). Sie können 0 und 1 gleichzeitig annehmen. Man spricht hier von der „Superposition“. Damit wird die Technologie für komplexe Wahrscheinlichkeitsbe- rechnungen relevant. Sobald wir die physische Quan- tenhardware in großem Umfang nutzen, wird ein Quantencomputer Berechnungen exponentiell be- schleunigen. Rechenprozesse, die mit einem herkömm- lichen Supercomputer Tausende von Jahren dauern, lösen wir dann in Bruchteilen einer Sekunde. Erste Erfolge mit quantenbasierten hybriden Anwendungen in der Industrie feiern wir heute schon. Hybride An- wendung bedeutet: Wir verbinden klassische Hoch- leistungsrechner mit Quantenelementen. MARKUS PFLITSCH ist Quantenphysi- ker und Gründer sowie CEO von Terra Quantum. Das Unternehmen ent- wickelt kommerziell nutzbare Quanten- applikationen 11 DUP UNTERNEHMER

bereits angestoßene Massenproduktion von Brenn- stoffzellen ist ein Schlüssel dazu. DIE VORTEILE VON WASSERSTOFF Wasserstoff bietet viele Vorteile – sowohl für öffent- liche Verkehrsmittel als auch private Pkw: Volltanken gelingt in weniger als fünf Minuten, und die Reichweite der Brennstoffzellen (aktuell bis zu 650 Kilometer) überholt die der meisten batterieelektrischen Moto- ren. Außerdem senkt Wasserstoff die Emissionen und Umweltschäden. Emittiert wird lediglich Wasserdampf, und die für die chemische Reaktion angesaugte Um- gebungsluft wird sogar so stark gereinigt, dass sie das System sauberer wieder verlässt. Ganz nach der Vision von Toyota fährt man mit grünem Wasserstoff also tatsächlich „Beyond Zero“. Aber woher kommt der CO2-neutral produzierte Wasserstoff? Ein Beispiel ist das 2020 fertiggestellte Fukushima Hydrogen Energy Research Field (FH2R) in Japan – eine der weltweit größten Elektrolyse-An- lagen zur Herstel- lung von grünem Wasserstoff. Unter Verwendung er- neuerbarer Energiequellen sollen so mehrere Tausend Tonnen Wasserstoff pro Jahr produziert werden. 2020 wurden zudem die zweit- und drittgrößten Anlagen der Welt in Betrieb genommen: die Industrias Cachi- mayo in Peru und ein mit Wasserkraft angetriebener Elektrolyseur in Kanada. Ihre Kapazitäten dürften sich in den kommenden Jahren noch steigern. Und auch Deutschland setzt beim klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft jetzt verstärkt auf Wasserstoff, ist dabei aber auf Importe angewiesen – etwa aus Norwegen. Beide Länder wollen bis 2030 eine Wasserstoff-Pipeline bauen. Auch Deutschland und Frankreich haben ge- rade vereinbart, die zwischen Spanien und dem süd- französischen Marseille geplante Wasserstoff-Pipeline „H2Med“ nach Deutschland zu verlängern. Eine Stu- „WASSERSTOFF HAT DAS POTENZIAL, DEN GESAMTEN VERKEHR ZU DEKARBONISIEREN.“ die von Hydrogen Council und McKinsey (2021) pro- gnostiziert übrigens, dass durch die Nutzung sauberen Wasserstoffs bis 2050 jährlich etwa 20 Prozent der von Menschen verursachten Emissionen vermieden werden können. Das wäre gleichbedeutend mit der Stilllegung sämtlicher Pkw, Lkw und Busse sowie der Einstellung des gesamten Luftverkehrs oder der jährlichen Ver- meidung der Nettoemissionen der USA, Japans und Deutschlands. MOBILITÄT FÜR ALLE Die Zukunft der Mobilität soll aber nicht nur nachhaltig und nützlich sein, sondern auch Spaß machen und Stress abbauen. Wie beim autonomen Fahren: Neben dem phy- sischen Transport von einem Ort zum anderen soll die neue Technologie Passagiere in jedem Alter und fast je- dem Gesundheitszustand dabei unterstützen, weiterhin mobil zu bleiben. Der Fahrgemeinschaftsdienst Toyota e-Trans etwa bringt Menschen auch abseits der Bal- lungszentren zusammen. In den geräumigen Fahrzeu- gen sollen sowohl Personen als auch Güter transpor- tiert werden. Und im Krankenwagen der Zukunft, dem Toyota e-Care, sprechen Patientinnen und Patienten schon auf dem Weg zum Krankenhaus mit der dort behandelnden Ärzteschaft. Wir wollen für jedes individuelle Mobilitätsbe- dürfnis die richtige Technologie anbieten – auf zwei, drei und mehr Rädern. „Mobilität für alle“ nennen wir von Toyota dies. Denn Mobilität wird für den Men- schen immer wichtig bleiben, aber in Zukunft anders aussehen. Deshalb streben wir weiter danach, noch effizienter zu sein, noch fortschrittlichere Technolo- gien sowie noch nachhaltigere Lösungen zu entwickeln. Neben der Elektrifizierung bildet Wasserstoff dabei eine entscheidende Säule im vielseitigen Gesamt- portfolio. Mobiler Medizincheck: Produkte und Services stellen in Zukunft den Menschen noch stärker in den Mittelpunkt. Im autonom fahrenden Krankenwagen Toyota e-Care etwa können Patientinnen und Patienten schon auf dem Weg zum Krankenhaus mit den dort behandelnden Ärztinnen und Ärzten sprechen 13 DUP UNTERNEHMER

1. DIGITALE ANWENDUNGEN 2. DIE DATENNUTZUNG UND VERBESSERN DIE -AUSWERTUNG REVOLUTIONIERT BEHANDLUNGSQUALITÄT DIE MEDIZIN 3. DIE DIGITALISIERUNG DER MEDIZIN DARF NICHT ZU IHRER KOMMERZIALISIERUNG FÜHREN Die digitale Infrastruktur muss stringen- ter aufgebaut werden, weil dadurch die Behandlungsqualität deutlich verbessert werden kann. In Zukunft werden wir da- tenbasiert in die Lage versetzt werden, die für uns jeweils am besten passenden Ärztinnen und Ärzte herauszufinden. Ein Device – das kann ein Handy, eine Brille oder ein Sprachassistent sein – wird anhand von Daten, die es über uns und unsere Krankheitsgeschichte hat, und mithilfe von Symptomcheckern, sei es mit oder ohne Künstliche Intelligenz (KI), eine Vor- oder Verdachtsdiagnose stellen können. Mit immer besser wer- dender Sensorik, wie sie zum Beispiel in Ansätzen heute schon in Smart Watches verbaut ist, werden wir zudem mehr Frühwarnsymptome erkennen können. Wir erleben derzeit im Bereich der Medi- zin extreme Fortschritte. Ich gehe noch weiter: Ich glaube, die maschinelle Nut- zung und Auswertung großer Mengen von Daten ist die größte Veränderung nach der Erfindung des Penicillins. Die Auswertung großer Datenmengen wird dazu führen, dass Therapien zu- künftig viel schneller entwickelt werden können. Die medizinische Forschung wird schneller und kostengünstiger werden. Heute sehen wir schon erste Schritte, bei denen uns Daten bei einem stratifizierten Therapieansatz helfen. Wir können etwa bei einigen Krebs- erkrankungen voraussagen, ob eine Therapie bei einer bestimmten Krebsart und einem bestimmten Patienten Erfolg versprechend sein wird. Entwickeln wir unser Gesundheitssystem nicht weiter, werden wir eine schlech- te Versorgung und ein teures sowie ineffizientes Gesundheitssystem haben. Dazu kommt ein ganz neues Problem: In einer globalisierten und vernetzten Welt werden wir Gesundheitsangebote von internationalen Tech-Unternehmen bekommen, die dann Gesundheitsdaten weitab der Datenschutz-Grundverord- nung (DSGVO) speichern, verwerten und kommerzialisieren werden. Wir müssen unbedingt sicherstellen, dass internationale Tech-Konzerne nur zu unseren (Datenschutz-)Bedingungen auf den deutschen Markt kommen und wir gleichzeitig die grundlegenden Errun- genschaften unseres Sozialsystems, vor allem den garantierten Zugang zu einer guten Versorgung unabhängig von Einkommen und Vorerkrankungen, ver- teidigen. Schaffen wir das nicht, besteht die Gefahr, dass wir in Zukunft in einem rein kommerziell ausgerichteten Gesund- 4. DIGITALISIERUNG ERMÖGLICHT EIN HÖHERES SELBST- 5. DURCH DIE DIGITALISIERUNG WERDEN GESUNDHEITSBERUFE heitssystem leben, das zudem durch ebendiese Konzerne gesteuert wird. MANAGEMENT DER PATIENTEN ATTRAKTIVER Basierend auf digital erhobenen Daten ihrer Devices werden Menschen zu- künftig sehr präzise und personalisier- te Empfehlungen bekommen, wie sie besser mit ihrer Gesundheit umgehen und zielgerichtet Prävention betreiben können. In der Zukunft wird das Selbst- management zudem stärker in der Ver- sorgung integriert sein. Aus dem Prinzip „Ambulant vor stationär“ wird „Digital vor ambulant vor stationär“. Wenn wir heute also zunächst prüfen, ob eine Behandlung in der Praxis statt im Kran- kenhaus stattfinden kann, werden wir in Zukunft in einigen Fällen die digitale Versorgung davorsetzen. Durch digitalisierte Prozesse profitieren Patientinnen und Patienten sowie auch die Behandelnden. Gleichzeitig könnten wir damit im Gesundheitsbereich nicht nur jährlich einen Milliardenbetrag ein- sparen, wir könnten auch dafür sorgen, dass die Gesundheitsberufe wieder attraktiver werden. Denn es ist meist nicht die Bezahlung allein, die sich verbessern muss, sondern es sind in erster Linie die Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte. Die Digitalisierung wird dazu beitragen, dass das medi- zinische Personal weniger Zeit mit Organisation und mehr mit den Patien- tinnen und Patienten verbringen kann. MEHR ZUM THEMA! Weitere spannende Artikel zum Thema Digitalisierung der Medizin finden Sie online unter DUP-magazin.de/e-health 15 DUP UNTERNEHMER

KOLUMNE | TITELTHEMA KRANKENKASSEN – SIND ES ZU VIELE? EINE KOLUMNE VON PROFESSOR DAVID MATUSIEWICZ David Matusiewicz ist Professor für Medizinmanagement an der FOM Hochschule. Seit 2015 verantwortet er dort als Dekan den Hochschulbereich Gesundheit & Soziales und ist einer der renommiertesten Experten für Digital Health in Deutschland. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Gesetzliche Krankenkassen befinden sich zwischen etabliertem Stillstand und disruptiven Sprüngen. Digitale Plattformen und Ökosysteme werden immer wichtiger. In der gemeinsamen Studie mit PwC* habe ich im vergangenen Jahr den Status quo zur Digitalisierung erhoben und eine Vision für das Jahr 2030 skizziert. Ein Blick zurück: Die Ausbildung der Sozialversicherungs- angestellten (SoFa) wurde zuletzt 1993 reformiert, sodass neue Tätigkeitsprofile in Hinsicht auf die Digitalkompetenz auch in Zukunft auf Basis der Ausbildung nicht zu erwarten sind. Einige der befragten Kassen wollen die SoFa-Ausbil- dung in Zukunft sogar einstellen und neue Berufe rund um die Ökonomie, Psychologie und Digitalisierung in den Vordergrund stellen. Dies stellt allerdings die Krankenkassen vor die Herausforderung, den richtigen Zeitpunkt zu avisieren, um einen Shift zwischen den alten und neuen Qualifikationen möglich zu machen. Fakt ist: Die Rolle der Kran- kenkasse wird sich stark ver- ändern. In Zukunft werden individuelle datenbasierte Be- ratungen durch die Kranken- kasse von Avataren oder Chat- bots und Online-Geschäftsstellen der Normalfall sein. Zudem wird es ein komplexes Zusammenspiel im Ökosystem aus Start-ups und Leis- tungserbringern geben. In diesem Jahr haben rund zwei Drittel der Krankenkassen ihren Zusatzbeitrag angehoben. Die Beiträge be- finden sich auf einem neuen Rekordniveau. Der politische und wettbewerbliche Druck bleibt also hoch. Und auch die Forderung der Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hallt immer noch nach: „20 bis 30 Krankenkassen sind genug.“ Deshalb sind die Krankenkassen gut beraten, sich vom analogen Payer zum digitalen Partner der Versicher- ten zu transformieren. Sonst entfällt deren Legitimation. Entscheidend wird deshalb der Digitalisierungsgrad sein. 17 DUP UNTERNEHMER 96 Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts sind vom Sozial- gesetzbuch abhängig und bewegen sich gleichzeitig in einem Markt mit derzeit ein bisschen Wett- bewerb untereinander. Sie befinden sich heute in einem ständigen Stresstest und immer stärkerer Konkur- renz durch Tech-Riesen wie Amazon. Spätestens seit der ersten digitalen (priva- ten) Krankenkasse Ottonova stellt sich die Frage, wieso es noch so viele Krankenkassen in Deutschland gibt und was diese in einer zunehmend finanz- technisch automatisierten Welt mor- gen noch leisten können. Am 1. Januar 2023 gab es in Deutschland 96 Krankenkassen. Im Jahr 1970 waren es dagegen noch 1.870. Bis 1990 reduzier- te sich die Anzahl bereits auf 1.147, zur Jahrtausendwende waren es nur noch 420. Unsere Studie zur gesetzlichen Krankenversiche- rung im Jahr 2030 hat gezeigt, dass sich ein sehr hete- rogenes Bild innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen abzeichnet. Das beginnt schon damit, dass unklar ist, wo die Kompetenz zur Digitalisierung in der Aufbauorgani- sation verortet ist. Während einige Krankenkassen dem digitalen Wandel offen gegenüberstehen, sehen andere primär die Herausforderungen. ? n e t n a g i G - h c e T d n u s p u - t r a t S n e g e g t h e t s e b r e W : n e s s a k n e k n a r K r ü f t s e t s s e r t S : ) 2 2 0 2 ( . D , z c i w e i s u t a M , . M , t r a h k r u B , . R , t a n n r e B , . T , r e b e W *

zum Beispiel die Menschen ermutigen, Wasser viel mehr wertzuschätzen. Wenn Kinder und Jugendliche über unsere Aktionen spielerisch lernen, damit umzu- gehen, also mit diesem Wissen aufwachsen, sind sie später auch bereit, Wasser zu schützen und sich dafür einzusetzen. Die Spenden, die wir erhalten, nutzen wir für Wasserprojekte: Bohrung von Brunnen, Repa- ratur von bestehenden Leitungssystemen sowie die Umsetzung von Hygiene-Workshops. Darüber hinaus versuchen wir über gemeinnützige Businessmodelle auch die Wirtschaft zu transformieren. Hierzulande sind es etwa die Millerntor Gallery oder unsere Gast- häuser, in denen die Vision auf verschiedenen Ebenen transportiert wird und in denen jede Übernachtung Gelder für Wasserprojekte generiert. Im Netzwerk von Viva con Agua befinden sich auch Social Businesses. Können Sie ein Beispiel nennen? Stüdemann: Social Business bedeutet auch, die Wirt- schaft zu nutzen, um Einnahmen zu generieren und diese dann einem sozialen oder ökologischen Zweck zuzuführen. Für uns ist ein Social Business unter an- derem ein Geschäftsmodell, das ein soziales Problem löst. Ein Beispiel: In Uganda gibt es ein Unternehmen, das Wasserfilter entwickelt hat und produziert, aus lokalen Materialien, die alle Bakterien aus dem Wasser holen. Das Projekt ist vor Ort entstanden, es wird rich- tig gut angenommen und mittlerweile auch in einigen anderen ostafrikanischen Ländern vertrieben, und wir unterstützen es. Ich sage das, weil wir oft feststellen, dass Lösungen, die wir mit unserem europäischen Blick konstruieren, vor Ort gar nicht funktionieren. Deswegen arbeiten wir gern mit lokalen Organisati- onen zusammen; unter Berücksichtigung von lokalen Wetterereignissen, kulturellen Besonderheiten, be- stehenden Wassersystemen für Menschen und Tiere entstehen manchmal die besten Innovationen. Welche Rolle spielen neue Technologien? Stüdemann: Wir brauchen sie einerseits immer mehr, um Wasser zu reinigen. Es gibt aber zum Beispiel keine neuen innovativen Systeme, die es bei starken Regenereignissen ermöglichen, Wasser aufzufangen und zu nutzen. Wenn heute plötzlich in großen Men- gen Wasser zur Verfügung steht, ist es auch schnell wieder weg. Deswegen sage ich ja: Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, den Wert von Wasser zu realisieren. Ist das erst einmal gegeben, kommt es auch schnell zu Innovationen, vor allem vor Ort. In einem Projekt in Tansania arbeiten wir etwa mit Nebelnetzen, die Wasser aus der Luft auffangen. Entsalzung ist ein großes Thema, weil immer öfter Überschwemmungen das Grundwasser versalzen. Wir brauchen in der Zu- kunft auch Technologien, die in Gegenden, wo der Klimawandel Fakten geschaffen hat, die nicht mehr zu ändern sind, Menschen den Zugang zu Wasser er- möglichen. Oder eine Technologie, die zum Beispiel in Äthiopien herausfindet, wo genau man die tiefen Brunnen bohren muss. Glauben Sie daran? Stüdemann: Es wird auch künftig gute technische Lösungen geben, ja. Andererseits ist das eine sehr kapitalistische Denkweise: Wir haben ein Problem, jetzt brauchen wir eine Technologie, die es löst, die dann aber eine passive Reaktion hervorruft, die wir gar nicht wollen. Das Problem wird nicht an der Wurzel behoben und kapitalistische Mechanismen werden fortgesetzt. Konsum deckt manchmal das ab, was in unserem Inneren als Mangel empfunden wird. Wir wollen deswegen Eigenverantwortung stärken, heute etwas ändern, die Menschen überzeugen, damit das Problem morgen gar nicht erst entsteht. Wenn 2030 jeder Mensch, der den Wasserhahn aufdreht, denkt: „Wow, was für ein Schatz!“, wenn es für alle Individuen wie Unternehmen selbstverständlich ist, Wasser zu schützen – dann ist der Sache viel geholfen. Carolin Stüdemann (l.): 2021 konnte Viva con Agua knapp 3,1 Millionen Euro in die Projektarbeit stecken – und seit 2006 die Lebens- bedingungen von rund 3,8 Millionen Menschen durch den Zugang zu sauberem Wasser verbessern DUP UNTERNEHMER 19

Einkauf per Tablet: Konsumenten nutzen vielfältige Einkaufsangebote dieser Hinsicht werden sich Ladengeschäfte noch mehr verändern müssen. Es reicht dann nicht mehr, Produk- te zu versammeln und am Ausgang eine Kasse aufzu- stellen. Vielmehr muss stationärer Handel begeistern. Geschäfte werden dann ein Ort werden, um eine gute Zeit zu haben, um sich inspirieren zu lassen – oder auch, um andere Menschen zu treffen. VERSCHRÄNKUNG DER HANDELSKANÄLE Denkt man dieses Szenario zu Ende, ist man weit entfernt vom Schreckgespenst der Verödung. In In- nenstädten und Einkaufszentren werden dann viel- leicht wirklich weniger physische Waren geshoppt – dafür stehen vielfältige, lebensnahe Angebote zur Verfügung. Der stationäre Handel fügt sich so in ein vitales Mit- und Nebeneinander aus Gastronomie, Unterhaltung und Shopping ein. In unseren Augen ein sehr attraktives Szenario. Letztlich werden sich digita- ler und stationärer Handel noch weiter verschränken. Das Stichwort dafür ist Connected Commerce. Ein Großteil der Kundinnen und Kunden schätzt es nach wie vor, Waren anfassen und anprobieren zu können. Schon 2019 gründete Otto zusammen mit der ECE-Group, die Einkaufszentren konzipiert und be- treibt, das Joint Venture Stocksquare. Hierbei geht es um eine wirklich wegweisende Innovation. Auf otto.de kann die Verfügbarkeit von Produkten in aus- gewählten Geschäften geprüft werden, die sich in einem der rund 90 deutschen ECE-Standorte befinden. Und wir müssen unser Geschäft noch weiter dekar- bonisieren – über alle Sparten hinweg. Ein Anfang ist mit der Umstellung in der Logistik von Flugzeug auf Schiff und Schiene bereits gemacht, aber es geht noch viel mehr. Als wichtiges Etappenziel fungiert hier just das Jahr 2030: Dann wollen wir in allen Kernprozes- sen klimaneutral sein. Doch auch hier wird die Reise nicht zu Ende sein. REDUZIERTE AUSLIEFERUNGSFAHRTEN Das Ziel kann nur lauten: zirkuläre Prozesse, bei de- nen ausschließlich die Ressourcen verbraucht werden, die wieder regeneriert werden können. Dazu sind gewaltige Anstrengungen nötig. Und hier kommt wie- derum die Digitalisierung ins Spiel. Digitale Tools beschleunigen nicht nur den Handel – sie bieten Händlerinnen und Händlern auch die Möglichkeit, ihre Prozesse effektiver zu gestalten. Man kann schon in der Gegenwart erkennen, in welche Richtung die Reise gehen wird. Über eine digitale Tourenplanung kann jede Auslieferungsfahrt heute schon um etwa sieben Prozent reduziert werden. Mit Künstlicher Intelligenz lässt sich das Warenangebot so optimie- ren, dass der Anteil nicht verkaufter Ware drastisch reduziert wird. Mehr unter DUP-magazin/otto-2030 21 DUP UNTERNEHMER

es jedoch signifikant mehr als die reine Bedürfnisbe- friedigung. Dieses „Mehr“ lässt sich am ehesten mit dem Begriff „Customer-Delight“ beschreiben. Mo- mente eines solchen „herausragenden Kundenerlebnis- ses“ sind jedem schon begegnet, zumindest intuitiv: ein Servicetechniker, der sich mitgebrachte Hausschu- he anzieht, bevor er eintritt, und der nach verrichteter Arbei mit dem eigenen Staubsauger sauber macht. Oder auch die Erfahrung, dass die Waschmaschine nach über 20 Jahren immer noch perfekt funktioniert. Entscheidend ist ebenso, dass die Marke den Men- schen auf allen Kanälen begegnet, die diese ihrerseits nutzen. Die Premiummarke antizipiert, wo sie die Zielgruppe erreichen kann, ist präsent, ohne penetrant zu sein, hebt sich mit ihrem Auftritt vom Wettbewerb ab und schafft es so, die umkämpfte Aufmerksamkeit der Konsumenten auf sich zu ziehen. Gut aufgestellte Premiummarken begeistern mit innovativen D2C-Formaten. Die eigenen Shops werden zu „Markenleuchttürmen“, die weit mehr bieten als das bloße Produkt, bis hin zu Koch-Events, Coffee- Workshops und testweisem Waschen der eigenen Wä- sche. Das emotionale Markenerlebnis vor Ort gilt es mit digitaler Convenience zu verbinden. Ob dann letztlich direkt beim Hersteller oder über einen Händ- ler gekauft wird, ist nachrangig. Entscheidend ist allein, die Begeisterung für die Marke und das Produkt zu entfachen und in Umsatz umzumünzen. KUNDENBINDUNG DURCH DIGITALISIERUNG Bei langlebigen Konsumgütern erfolgt der Kaufent- scheid in lang gestreckten Zyklen von 5 bis 15 Jahren. Das bedeutet, dass nur alle 5 bis 15 Jahre die Gelegen- heit entsteht, dass eine Kundin oder ein Kunde beab- sichtigt, eine Waschmaschine, einen Backofen oder ein Auto zu kaufen. Insofern ist es umso wichtiger, über den gesamten Nutzungszyklus hinweg in einem aktiven Dialog zu stehen und Nut- zungsgewohnheiten und Präferenzen der Kunden möglichst genau kennen- zulernen. Wesentlicher Hebel hierfür sind die fortschreitende Digitalisierung und die damit verbundenen Chancen aus der Vernetzung der Geräte. Bis 2030 wird dies zu einer signifikanten Verschiebung im Umsatz- und Ergebnismix in der Nachkaufphase führen. Bereits heute fließen große Entwicklungsaufwände in den Bereich von Smart Home. Diese Investitionen durch die Monetarisierung Begeisterung: Sie ist die zentrale Voraussetzung für eine nachhaltig loyale Beziehung zwischen Marke und Kunden der Leistungsangebote auch wirtschaftlich zu recht- fertigen fällt bislang allerdings schwer. Auch das wird sich bis 2030 fundamental ändern. Die mit der Digita- lisierung einhergehende Vernetzung der Geräte er- möglicht in immer größerem Maße werthaltige Zu- satzleistungen. Gerade für Premiummarken liegen hier enorme Chancen für eine wertorientierte, nachhaltige Beziehung mit ihren Kundinnen und Kunden. Die Gerätevernetzung muss in Zukunft allerdings auch dazu genutzt werden, digitale Angebote zu ma- chen, die auf die Kundin oder den Kunden individuell zugeschnitten sind. Eine Kernherausforderung für nachhaltiges Consumer-Engagement ist die Sammlung und Verknüpfung von Daten, dies selbstverständlich unter konsequenter Wahrung des Datenschutzes, und die Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI). Zu- gleich ist zu erwarten, dass die freiwillige Weitergabe von Kundendaten in den kommenden Jahren weiter abnimmt und auch der rechtliche Rahmen zur Samm- lung und Verarbeitung zunehmend verschärft wird. „DIE GERÄTEVERNETZUNG MUSS IN ZUKUNFT DAZU GENUTZT WERDEN, DIGITALE ANGEBOTE ZU MACHEN.“ Hier schließt sich der Kreis zur Direktvermark- tung von Produkten und einer Trustpoint-basierten Interaktionsstrategie: Je direkter der Kontakt zwi- schen Mensch und Marke ist und je klarer eine Marke glaubwürdig das Vertrauen der Beziehung in den Vor- dergrund stellt, desto eher gelingt es, Menschen nach- haltig in das Ökosystem einer Marke einzubeziehen. Und desto eher entwickelt sich die Kundenbeziehung von einem Transaktionsmodell zu einem „Partner of my Life“-Modell. 23 DUP UNTERNEHMER

KOLUMNE | TITELTHEMA DEUTSCHLAND 2030 SIEBEN-MEILEN-KI-SPRÜNGE EINE KOLUMNE VON VERENA FINK Verena Fink von Woodpecker Finch ist Beraterin für kunden zentrierte Innovation und Künstliche Intelligenz. Sie ist die Expertin des DUP UNTERNEHMER-Magazins für digitale Impulse aus aller Welt. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2023 bis 2030 – sieben Jahre für neue Angstreflexe oder positive Überraschungen. Aber wie wird das Fazit in sieben Jahren ausfallen? War ja gar nicht so schlimm wie erwartet? Ich hoffe in dieser Zeit auf große Sprünge in smarter Technologie und glaube an vier Entwicklungen in der Künstlichen Intelligenz (KI): 1. Der Einsatz von KI zur Verbes- serung der Datenqualität wird einen positiven Kreislauf in Gang setzen, in dem sich die digitale Technologie exponentiell verbessert. Dies zeigt sich auch bei der Integration von KI im weiteren Verlauf der Da- tenpipeline, beispielswei- se in der Data-Governance oder im Stammdaten- management zur Bewertung von Datenanfälligkeit und Da- tendopplung. Wir können da- durch so unglaublich viel schneller Erkenntnisse gewinnen. 11,3 Prozent Wachstum des deutschen Brutto- inlandsprodukts (BIP) bis 2030 erwartet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers aufgrund KI-basierter Innovationen. und sie mithilfe von KI analysieren, um Kundenpro- bleme zu lösen. Er definiert sich in Zukunft dann nicht mehr als Hersteller „made by“, sondern als Problemlöser „solved by“. 3. Neue Probleme wie Long Covid werden wir mit interdisziplinärer KI-Datenanalyse angehen. Denn mit der Integration multimodaler Daten aus der modernen molekularen, radiologischen und pathologischen Bildgebung sowie patientenspezi- fischer klinischer Daten wird die Vorhersage von Arzneiwirkung, Krankheitsverlauf und Pati- entenreaktionen optimiert. Künstliche Intelligenz wird also auch im Gesundheitssek- tor dazu beitragen, dass sich neuartige Behandlungs- und Präventionsstrategien entwi- ckeln können. 4. Ich freue mich zudem darauf, dass KI in den kommenden sieben Jahren endlich transparent und erklärbar wird. Denn der Bedarf wächst in allen Einsatzfel- dern, KI-Systeme noch transparenter und schließlich für alle verständlich zu gestalten – vor allem wenn sie in Entscheidungsprozessen mitmischen, die das Leben von Menschen betreffen. Wetten, dass wir neue Techniken und Technologien entwickeln werden, um mit transparen- ten und interpretierbaren Modellen die von KI-Systemen zu treffenden oder empfehlenden Entscheidungen nach- vollziehbar zu erklären? 25 DUP UNTERNEHMER 2. Künstliche Intelligenz wird zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle in Industrieunternehmen ein- gesetzt, nachdem der Fokus bislang auf der Automati- sierung operativer Entscheidungen lag – zum Beispiel im Contact-Center. Wir werden Algorithmen auf strategi- scher Ebene einsetzen, um neue Wertschöpfungsströme zu entwickeln. Ein Maschinenhersteller, der Sensoren in seinen Geräten verbaut, wird Datendiagramme erstellen s r e p o o C e s u o h r e t a w e c i r P : e l l e u Q