„In codes we trust“ – Der Sündenfall des Bitcoiners Ross Ulbricht

„In codes we trust“ – Der Sündenfall des Bitcoiners Ross Ulbricht 1280 632 Martin Hintze

Zehn Jahre nach der Veröffentlichung des Bitcoin ist es dem Bundesfinanzministerium gelungen, eine nationale Blockchain-Strategie aufzusetzen. Die Nutzungsform als Währung lehnt Olaf Scholz ab und begründet: „Ein Kernelement der staatlichen Souveränität ist die Herausgabe einer Währung, wir werden sie nicht Privatunternehmen überlassen.“ Mit diesem Bewusstsein scheint der Bundesfinanzminister weit hinter der fortgeschrittenen Akzeptanz des Kryptogeldes zu liegen und unterschätzt das latente Potenzial einer Nutzergemeinschaft.

Wie es in der Netflix-Serie „How to Sell Drugs Online (Fast)“ oder Amazon Original „Startup“ gezeigt wird, ist es ganz und gar nicht. Keine heroische Exit-Strategie und keine mächtigen Freunde. In einem Hochsicherheitsgefängnis in Tucson Arizona verbüßt Ross Ulbricht zweifach lebenslänglich, plus 40 Jahre Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung. Der im Darknet als „Dread Pirate Roberts“ bekannte 35-Jährige ist nun schon seit sechs Jahren inhaftiert. Ulbricht gründete die Darknet-Marktplätze „Silk Road” und „Silk Road 2.0” und genießt in gewissen Kreisen eine Art Legendenstatus. Nun muss er sich für eine Reihe von Delikten von Geldwäsche bis Drogenhandel und für die Gründung einer kriminellen Vereinigung verantworten.

Ausschlaggebend für die Härte der Strafe sind nicht die illegalen Geschäfte im Wert von über 183 Millionen Dollar, die auf Silk Road getätigt wurden, sondern die fünf Morde, die er zum Schutz seiner finanziellen Interessen in Auftrag gab. Zwar ist keiner von ihnen geglückt, aber das Berufungsgericht unterstellt Ross Ulbricht, einen besonders destruktiven Charakter und bestätigte das Urteil aus der ersten Instanz. In seinem zuletzt veröffentlichten Brief gewinnt man einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt des verurteilten Bitcoiners: “Der 1. Oktober 2019 markiert den Beginn meines siebten Jahres im Gefängnis. Obwohl ich mir noch vorstellen kann wie es ist, glaube ich, ich habe vergessen wie sich Freiheit tatsächlich anfühlt.”

Briefmarken statt Bitcoins

Wie es Ulbricht im Gefängnis geht, erfährt man regelmäßig auf der Website freeross.org. In seinem Essay Bitcoin Equals Freedom findet man Teile des Puzzles, die zu der langjährigen Freiheitsstrafe führten. Er schreibt in einem der Briefe: „Die Bitcoiner der ersten Stunde, […] alles was sie hatten war ein Traum, eine Überzeugung, dass sie mit genug ansteckendem Enthusiasmus eine digitale Anwendung, zu einem mächtigen Multimillionen-Dollar-Phänomen aufbauen können, dessen Auswirkungen wir erst jetzt beginnen zu begreifen.“

Bitter, wie Ulbricht auch sein eigenes Schicksal durch diesen Satz charakterisiert. Seine Briefe erzählen von großen Unsicherheiten, Widersprüchen und ungelösten Fragen der Nutzer von Kryptowährungen. “Bitcoin hatte keinen Wert, und niemand war gezwungen es zu nutzen, dennoch wurde es irgendwie ein Tauschmedium,” und: „Es ist wie Magie, dass Bitcoin aus dem Nichts, ohne einen vorangehenden Wert oder Autorität zu Geld werden konnte.” Doch es gibt keine Magie, die Werte aus dem Nichts erschaffen kann. Es sind viel mehr soziale Faktoren gewesen, die für die Wertschöpfung des Bitcoins verantwortlich waren, wie es auch der Soziologe Nigel Dodd in „Bitcoiners – Aus dem sozialen Leben eine Kryptowährung“ ausführt.

Denkt man die soziale Faktoren bei dem Phänomen des Bitcoin mit, ergibt sich eine weniger magische Anschauung. Sie erklärt einige Wahrnehmungslücken bei Ulbricht. Zur Erinnerung, die Ereignisse rund um die Silk Road fallen in eine Zeit in der Bewegungen wie „Occupy Wall Street“ bis hin zum Arabischen Frühling über die sozialen Medien organisiert wurden. Die Welt der Netzwerke gelangt an die Oberfläche und die Autorität der Staaten wird durch die neuen Organisationsformen in Frage gestellt. Das Versprechen bei Bitcoin, über Kryptographie und endloser Speisung einer öffentlicher Datenbank Finanzinstitute und Staaten auszubooten, hat ganz klar eine politische Dimension. Für Ulbricht muss das antihierarchische Konzept des Bitcoins eine starke Anziehungskraft ausgeübt haben.

Da überrascht es nicht besonders, dass er bis jetzt die libertären Zuschreibungen des Bitcoins weiterhin vertritt. Doch wohin verschiebt sich denn die Vertrauensgrundlage bei der Nutzung des Bitcoins? Diese Rolle soll im Ökosystem der Kryptowährung von Maschinen übernommen werden. Interpretiert man Ross Ulbrichts Briefe und seine Teile der Geschichte als Kette symbolischer Handlungen, ergibt sich ein noch viel tragischeres Bild als das des technikaffinen und systemkritischen Kriminellen. Es entsteht der Eindruck, dass sein Glaube in den Bitcoin blinde Flecke produzierte, die über das Sicherheitsgefühl vor Strafverfolgung hinausreichen. Seine Freiheit wie auch seinen moralischen Kompass gab er in die Hände von Verschlüsselung und Codes.

Ich sehe nichts, was du nicht siehst

Nach dem Urheber-Dokument, aus dem Bitcoin hervorging, soll die Blockchain die Rolle eines zentralen Bankensystems durch eine dezentral und öffentliche Transaktionsgeschichte ersetzen. Losgelöst vom sozialen Prozess des Geldes und der Anonymität des Darknets ist hier eine fatale Wahrnehmungslücke entstanden, die Ulbricht für die Silk Road Plattform ausbeuten konnte. Dabei ist es nicht einmal nur seine individuelle Wahrnehmungslücke gewesen. Es sieht so aus, als ob Ulbrichts Verfehlungen ihren Ursprung auch in der allgemeinen Bewertung von Bitcoins haben.

Solange der Bitcoin kein echtes Geld war, musste er sich nicht mit moralisch fraglichen Geschäften auf der Silk Road und der eigenen Gier beschäftigen. Ulbricht ist ein Kind seiner Zeit und zwar ein Kind der Finanzkrise 2008. In dem Essay Bitcoin Equals Freedom fasst Ulbricht zusammen: “Bewusst und spontan wurde Bitcoin als Geld angenommen, während niemand hingesehen hat.” Der Fall „Ulbricht“ war ein Alarmsignal bezüglich der unkontrollierbaren Potenziale von technologischer Innovation. Er hat dafür gesorgt, dass die Ermittlungsbehörden nun besser hinschauen.

Eindrucksvoll sprengten BKA, Europol und FBI im Mai 2019 die Plattform „Wall Street Market“.  Drei Deutsche wurden als mutmaßliche Betreiber des Marktplatzes festgenommen. Womöglich zeichnet sich hier die Grenzziehung zwischen Kryptowährung und herkömmlichem Geld ab. Als die Ermittlungsbehörden bei „Wall Street Market” im April die Vorbereitungen für einen „Exit-Scam” entdeckten und nur einen Monat später in einem spektakulären Polizeieinsatz den Schwarzmarkt sprengten, bestätigte sich, dass das Kryptogeld wohl nur so lange einen Wert hat, bis man versucht, es in herkömmliches Geld umzuwandeln.

Text: Kim Philipp Jess
Fotocredit: Philipp Möller/JDB MEDIA