Ganz schön clever, die Israelis. Wir treffen in Tel Aviv auf schlaue, junge Gründer, die eine Art „Great Israelian Dream“ träumen. Der geht so: Jetzt, wo sich weltweit Branchen und Märkte wandeln, sucht man Lücken oder Angriffsflächen für neue Produkte und neue Technologien. Wo gibt es Platz für innovative, disruptive Ideen? Worauf hat die Welt gewartet? Mit diesem Spirit werden im Silicon Wadi täglich Start-Ups gegründet. Im Fokus sind Branchen wie Gesundheit, Software oder Industrie. Der Gründergeist ist groß und wird angetrieben von dem israelischen Selbstverständnis „Geht nicht, gibt’s nicht“, das man beispielsweise auch in den Büros von Mindspace findet, wo wir uns mit dem JDB-Redaktionsteam zum Arbeiten eingenistet haben. Dieses Mantra für Problemlösungen lernen alle Israelis früh beim Militär. Die Armee spornt junge Leute an, immer wieder querzudenken und andere Wege zu gehen. Nur so glaubt man sich in dem kleinen Land mit 8,5 Mio. Einwohnern gegen die übermächtige arabische Welt behaupten zu können. Eine Strategie, die aufgeht, wie wir quasi täglich in den Nachrichten hören.
Gründer-Guru Shai Agassi
Die besten Wehrpflichtigen kommen in Eliteeinheiten, die sich beispielsweise mit Nachrichtentechnik oder Cyberwar beschäftigen. Dieses Wissen ist wiederum eine tolle Basis, um später mit einem Start-Up durchzustarten. Vorbild für viele Gründer ist der Multimillionär Shai Agassi, eine israelische Version von US-Unternehmerlegende Bill Gates. Eine Vita zum Staunen: Bereits als Kind sammelte der heute 49-Jährige Lochkarten. Mit 7 Jahren belegte der Sohn eines Obristen dann an der Universität Tel Aviv einen Computerkurs für Kinder, wo er das Programmieren erlernte. Dann kommt wie beschrieben die Armee als Katalysator und Kaderschmiede. Agassi wird Programmierer bei einer Eliteeinheit der militärischen Aufklärung. Es folgt ein Bachelor in Informatik, den er selbstverständlich mit Auszeichnung abschließt. So weit so gut – jetzt geht es typisch israelisch weiter.
„Wie wäre Agassis Karriere in Deutschland weiter verlaufen“, fragt mich ein Gründer in Tel Aviv und mutmaßt: „Sehr wahrscheinlich wäre er bei einem Konzern wie Siemens gelandet, um dort die Ochsentour zu durchlaufen“. Israel ist anders – auch weil es dort keine Multis gibt. Agassi startete vielmehr als Multigründer Anfang der 90er Jahre. Zusammen mit seinem Vater baut er gleich vier Firmen auf. Mit Erfolg: Seine Softwarefirma TopTier, 1992 gegründet, verkauft er 2001 für 400 Millionen US-Dollar an SAP. Ein Jahr später folgt TopManage. Der Anbieter von Unternehmens-Software für mittelständische Unternehmen geht ebenfalls an den Waldorfer Dax-Konzern. TopManage hatte Agassi 1993 gegründet. Verkauf mit System: Gründen, entwickeln und verkaufen – das ist Unternehmertum „Made in Israel“. Langfristiger Konzernaufbau, komplexe Internationalisierung, effiziente Produktionsentwicklung ist nicht unbedingt ihre Sache. Dann lieber wieder neu gründen.
In den Medien wurde der gut aussehende Unternehmer Agassi damals bereits als neuer CEO von SAP gehandelt. 2003 wählten Time Magazine und CNN den smarten Israeli zu einem der einflussreichsten Manager der Welt. So hätte die Geschichte weitergehen können, ging sie aber nicht. Der Held der Israeli wäre ein Streber und kein Held, wenn er nicht auch einen fürchterlichen Bauchklatscher hingelegt hätte. Aber Rückschläge gehören zum Geschäft: Am 29. Oktober 2007 gründete Agassi Better Place. Mit der Firma wollte er eine Art Tankstellennetz für Batterien aufbauen. Der Visionär („Ich bin das Ende des Öls“) glaubte zu früh an die Zukunft von Elektroautos. Mit Renault fand er nur einen Verbündeten in der Automobilindustrie. Die mächtigen Marken gaben ihm einen Korb. Better Place ging pleite – Totalschaden.
Autsch – Konkurs
In Deutschland haben Pleitiers einen schweren Stand. Sie sind die Looser der Wirtschaft, bekommen von Banken keine Kredite mehr und schlagen sich häufig über Jahre mit Insolvenzverwaltern herum. Anders in Israel: Dort sieht man einen Crash ganz anders. Wer wie Agassi mit seiner Idee daneben lag, ist im Zweifel um eine wichtige Erfahrung reicher. „Wichtig ist es, wieder aufzustehen, wenn man gestolpert ist“, höre ich immer wieder in meinen Gesprächen mit Gründern. Auch diese Einstellung wird den Israelis beim Militär in die Seele gepflanzt. „Wie soll man einen Feind besiegen, wenn man am Boden liegt“, fragt mich ein junger Gründer, den ich zufällig bei einer Tasse Kaffe in der Küche unseres Co-Working-Spaces treffe. Er bastelt an seinem zweiten Business-Plan und träumt von einem Medizin Start-Up. Die erste Firma hat nur zwei Jahre überlebt. So verwundert es nicht, dass auch Vorbild Agassi schon längst wieder ein neues Start-Up gegründet hat. Mit Newrgy greift er seit geraumer Zeit in der Photovoltaik-Branche an. Für den Offizierssohn war aufgeben nie eine Option.
Text: Jens de Buhr
Fotocredit: JDB