Mirai: japanisch für Zukunft

Mirai: japanisch für Zukunft 1280 632 JDB

Als ich ungefähr zehn Jahre alt war, kaufte sich meine Mutter einen Honda. Die große Begeisterung meiner Eltern für den Wagen mit den vielen kleinen Schaltern und Hebeln steckte auch mich an. Denn scheinbar alles, was man in ein Auto an technischen Gimmicks einbauen konnte, fand hier seinen Platz. Und das war für mich fortan typisch japanisch: Aus diesem Land kommen die tollsten technischen Errungenschaften – alles wird durchdachter, kleiner und günstiger gebaut, als irgendwo sonst.

Tokio vs. Silicon Valley
Nun ist der Kauf des Hondas bereits rund drei Jahrzehnte her, die Funktionen, die man per Knopfdruck auslösen konnte, beherrschen mittlerweile auch günstigste Kleinwagen aus aller Herren Länder und die ganz großen Innovationen kommen nicht aus Japan. Dennoch verbinde ich mit „Made in Japan“ noch immer Technikfreaks, die einen hohen Qualitätsanspruch pflegen. Und nachdem San Francisco im Februar in Sachen digitalem Pioniergeist kräftig vorgelegt hat,war ich sehr gespannt darauf, wie sich Tokio schlagen würde. Ich nehme es mal vorweg: Die Japaner schlugen sich durchwachsen.

Trendsetter oder Verbesserer?
Denn einerseits wurde mein Bild der emsig tüftelnden auf jeder Station der Reise bestätigt, andererseits werden die prominenten Trends andernorts gesetzt. Stammte der Walkman noch aus Japan, prangte auf nachfolgenden Entwicklungen ein US-amerikanischer Apfel. Und anstelle des beeindruckenden Armaturenbretts wie im damaligen Honda verbaut Elon Musk heute ein Riesen-Tablet in die Mittelkonsole eines Tesla. Insofern sind die Japaner weniger Trendsetter als Verbesserer. Aber darin sind sie nach wie vor führend: Im Panasonic Center sahen wir Haushaltssituationen, wie sie in wenigen Jahren möglich wären. Einiges davon mag auf den ersten Blick wie Spielerei wirken, es birgt aber großes Potenzial (siehe auch Auto-Cockpit der 80er). Brauche ich einen Spiegel, der mir zeigt, wie meine Hose in Pink aussähe? Auf keinen Fall. Kann ich mir vorstellen, was mit der dafür nötigen Technologie machbar ist? Allerdings!

Understatement
Was mich – gerade nach den Eindrücken im vor Selbstbewusstsein strotzenden Silicon Valley – verwunderte, war die Vorsicht, mit der in Japan die eigenen Innovationen anmoderiert werden. Das ist sicher auch eine kulturelle Frage. Bei Toyota zum Beispiel. Mit dem Prius ist man der große Hybrid-Pionier. Mit dem Mirai – dem japanischen Wort für Zukunft – hat man eine Wasserstoff-Limousine auf dem Markt. Bei unserem Besuch probierten wir Prototypen für Elektro-Dreiräder aus und anschließend fuhren wir mit einem Brennstoffzellenbus. Und wie schätzt man dort die Chancen für den hauseigenen Stall voller Steckenpferde (Hybrid / Elektro / Brennstoffzelle) ein? Zurückhaltend: 2030 sollen gerade einmal zehn (!) Prozent der Neuanmeldungen (!) keine reinen Verbrennungsmotoren sein. Da würde Tesla sicher dicker auftragen. Ebenso wie jeder Kandidat in der „Höhle der Löwen“. Dass ausgerechnet der größte Autohersteller der Welt – Toyota nämlich – hier so leise tritt, irritiert mich. Ist es Understatement oder Höflichkeit? Zur Unsicherheit gäbe es bei den Referenzen schließlich keinen Anlass.

Der große gemeinsame Nenner aller Innovationen in Japan scheint inzwischen der Nutzwert für die alternde Gesellschaft zu sein. Und spätestens hier zeigt sich, wie pragmatisch erfinderisch die Japaner sind. Denn auch wenn das neue iPhone sexy ist und ein Roboter, der Pflegekräfte unterstützt, eher nicht: Das erste weckt seinen eigenen Bedarf. Das zweite aber trifft einen. Pflegeroboter werden hierzulande, ja im ganzen Westen eher früher als später gebraucht werden.

Was bleibt ist die Irritation, dass es in der so modernen Stadt mit seinen rund 10 Millionen Einwohnern genauso schwer ist, mit Karte zu zahlen wie jemanden mit Englischkenntnissen aufzustöbern. Abschreiben sollte man Japan aber keinesfalls. Hier wird fleißig an der Zukunft gearbeitet, wenn auch die kleinen Schritte in Richtung Mirai mit der gebotenen Höflichkeit und Zurückhaltung kommuniziert werden.

Text: Philipp Wolf
Fotocredit: JDB