Künstliche Intelligenz - wer beherrscht eigentlich wen?

Sex sells – aber unter welchen Bedingungen?

Sex sells – aber unter welchen Bedingungen? 4200 2800 Miriam Rönnau

Vorsicht, Spoiler: Black Mirror – „Striking Vipers“

Ob er glücklich ist? Danny ist sich unsicher. Er lebt mit Frau und Kind in einer Vorstadt, sein Leben ist, was man gemeinhin als „normal“ nennen würde. An seinem Geburtstag besucht ihn Karl, ein Freund aus dem College. Er ist ein Draufgänger, ein gut gebauter Typ mit wildem Liebesleben. Zu seinem Ehrentag überreicht er Danny eine neue Virtual-Reality-Konsole mit superrealistischen Kampferlebnis. So realistisch, dass sogar Schmerz und Erregung simuliert werden. Es dauert nicht lange, bis sie feststellen: Das Game lässt sich zweckentfremden. Danny ist ein männlicher Avatar, Karl ein weiblicher – und sie fangen an, miteinander zu schlafen.

Neue Fragen ohne Antworten
Das spannende an Technologie ist nicht die Innovation an sich. Es ist das, zu dem sie uns auffordert: Fragen zu stellen, über die wir nie hätten nachdenken müssen. Die neue Black Mirror Folge „Striking Vipers“ demonstriert das ungemein: Wo fängt Fremdgehen an? Bisher gilt – Sex mit einem anderen Menschen haben, das ist im gesellschaftlichen Konsens ein Verstoß gegen die Monogamie. Pornos? Die werden häufig toleriert. Virtueller Sex samt körperlicher Stimulation? Das ist neu.

Ist Danny homosexuell? Im weiblichen Avatar steckt die Persönlichkeit von Karl. Es sind seine Bewegungen, seine Emotionen. Nur nicht sein Körper. Wäre das eine neue Form der Sexualität? Und wenn ja – welche? In einer Szene küssen sich die beiden Männer auf der Straße, im realen Leben. Doch sie fühlen dabei nichts. Aber virtuell? Da können sie einfach nicht die Finger voneinander lassen. In einer weiteren Szene will Danny die Liaison beenden, doch Karl erwidert: „Du musst kein schlechtes Gewissen haben. Das ist wie Porno, nur besser.“

Virtuelle Liebe
Die Geschichte von „Striking Vipers“ ist Science-Fiction. Doch wir leben in einer Zeit, in der solche Gedankenspiele baldige Realität als nur Phantasie sind. Der japanische Hersteller Koei Tecmo etwa hat die VR-Box „VR Sense“ entwickelt, in der Bewegungen, Berührungen, Kälte, Hitze und mehr simuliert werden. Und das System „HaptX“ des US-amerikanischen Start-up AxonVR ermöglicht es via sensorischer Rückmeldung, virtuelle Gegenstände zu berühren und zu spüren.

Schon jetzt gibt es eine Reihe von Plattform, die zumindest audiovisuell VR-Pornos anbieten. Ein Beispiel wäre etwa RealityLovers. Dort können User bekannte Pornostars wie Brett Rossi oder Anna Rose noch intensiver erleben. Und das ist erst der Anfang. Denn wir dürfen nicht vergessen: Seit rund 100 Jahren sind die Technik- und Pornoindustrie eng miteinander verbunden. In vielen Bereichen hat die Porno-Branche darüber entschieden, welche Technologie sich durchsetzt – wie etwa beim „Krieg der Formate“ aus den 1980er-Jahren. Damals hatte Sony sein neues Video-Format Betamax herausgebracht, was aber pornografische Inhalte verbot. Deshalb nutzte die Porno-Branche das Konkurrenz-Format Blue-ray, was sich daraufhin durchsetzte.

Auch in der virtuellen Liebe ist einiges los. Der Blick nach Japan zeigt: Schon in den 1980er-Jahren konzentrierten sich zahlreiche Videospiele auf Dating-Simulationen und erotische Inhalte mit virtuellen Personen. Mit fortschreitender Technik, vor allem im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI), wurden Spiele immer realistischer. Die virtuellen Figuren fingen an, in Echtzeit mit ihrem Gegenüber zu sprechen. Besonders beliebt ist etwa das 2009 in Japan veröffentlichte und über Nintendo DS und 3DS verfügbare Game „LovePlus.“ Zahlreiche Japaner führen heute mit der in dem Game integrierten KI eine Liebesbeziehung. Im letzten Jahr führte es Akihiko Kondo schließlich auf die Spitze und heiratete eine virtuelle Manga-Figur: Hatsune Miku. Eine handliche Stoffpuppe ersetzte während der Zeremonie ihren Körper. Kondo legt ihr einen Ehering an – und lässt sie im gemeinsamen Bett schlafen.

Wenn es haptisch zugeht
Doch es muss nicht nur virtuell sein. Schon seit einigen Jahren lassen sich Sexroboter auf den Markt finden, meist weibliche Androide. 2017 kritisierten zahlreiche Medien die Puppe Roxxy des Herstellers TrueCompanion, da sie einen speziellen Modus hatte, über den Vergewaltigungsfantasien befriedigt werden konnten. Roxxy hat synthetische fleisch-ähnliche Haut, einen prallen Busen, Haare und dank KI sogar eine „Persönlichkeit“. Roxxy ist nur ein Beispiel unter vielen. Wer künstliche Liebe, Zärtlichkeit und Nähe sucht, kann auch das „LumiDolls“ besuchen – ein Sexpuppen-Bordell in Spanien. 2017 wurde es eröffnet, der Spaß kostet rund 127 Dollar pro Stunde.

Maschinen werden menschlich
Roxxy sieht aus wie eine Frau, hat einen weiblichen Namen, eine weibliche Stimme, teilweise eine Persönlichkeit. Sie hat menschliche Züge. Schon seit Beginn der KI-Forschung diskutieren Experten, worin sich Menschen und Maschinen konkret unterscheiden – und fragen sich immer wieder: Was macht uns zu etwas Anderem?

Technologie zu vermenschlichen ist nichts Neues. Wir erleben es ständig. Nicht umsonst haben Sprachassistenten weibliche Stimmen und weibliche Namen. Das hat einen einfachen Grund: Umso menschlicher die Technologie ist, desto einfacher ist es für uns, sie in unsere Leben zu integrieren. Nur so schenken wir den Maschinen vertrauen. Und vertrauen ist notwendig, wenn sie Teil unseres Alltags werden sollen, uns den Weg weisen, für uns das Auto fahren oder sich eben in unserem Liebesleben einfügen. Dass es sich dabei meist um weibliche Attribute handelt, hängt, so meinen einige Experten, am historischen Geschlecht zusammen: Frauen gelten in der Regel als vertrauenswürdiger und hatten in der Vergangenheit oft die Rolle der Dienstbotin.

Back to the roots
Schon Anfang der 1960er-Jahre spricht der Kybernetiker und KI-Pionier Norbert Wiener von einer „Maschinengenetik“. Damit fasst er den Schöpfungsprozess, egal ob menschlicher oder maschineller Art, unter den gleichen Gesichtspunkten zusammen. So ließe sich die „Survival of the fittest“-Theorie von Charles Darwin auf die Maschinen-Evolution übertragen: Unvorteilhafte Maschinen werden durch natürliche Auslese selektiert. Die, die sich bewiesen haben, werden reproduziert – und dienen als Archetyp für weitere Kopien.

Alles nur Unsinn? Ich denke nicht. Gehen wir nochmal zurück: Rodney Brooks, einer der ersten Roboter-Forscher, begann in den 1980er-Jahren damit, insektenähnliche Roboter zu bauen. Dabei orientierte er sich am Evolutionsprozess von Tieren. Auch viele der KI-Forscher der 1960er- bis 1980er-Jahre waren davon überzeugt, dass eine KI nur über künstliche neuronale Netze zu entwickeln sei.

Heißt: Die neuronalen Netze des Menschen sollen künstlich dupliziert werden. Das wiederum heißt: Tiere und Menschen – das waren die Technologie-Vorbilder. In seinem Buch „Menschmaschinen“ aus 2002 schreibt Brooks: „Besitzen unsere anthropoiden Roboter genug Ähnlichkeit mit uns […], so dass wir uns ihnen gegenüber ähnlich moralisch verhalten wie gegenüber unseren Menschen […]?“

Posthumanismus
Wie sieht das also heute aus? Sexpuppen sehen aus wie Menschen, Avatare sehen aus wie Menschen. Sie verhalten sich wie Menschen und werden, in der Zukunft, noch viel menschlicher. Sophia macht es vor: Der bis dato menschenähnlichste Roboter in Aussehen und Verhalten erhielt sogar die Staatsbürgerschaft Saudi-Arabiens.

Wenn wir also mit Maschinen und Avataren interagieren, schlafen, sie in unser Leben integrieren und uns sogar in sie verlieben – wäre es dann nicht auch konsequent, sie wie Menschen zu behandeln? Einige Experten geben darauf eine klare Antwort: ja. Die sogenannten Vertreter des Posthumanismus plädieren sogar dafür, den Humanismus in einen Posthumanismus zu entwickeln, der es zulässt, auch andere „Wesen“ human zu behandeln. Also keine Vergewaltigung von Sexpuppen, keine Sklaverei. Es bräuchte eine Moral für die Maschine.

Umso menschlicher wir die Maschinen machen, desto mehr sollten wir anfangen, darüber nachzudenken, was das für uns bedeutet. Sicher kann noch kein Sexroboter eine eigenständige Entscheidung darüber treffen, ob sie mit uns schlafen will oder nicht. Für etwa Menschen mit Behinderungen oder jene, die Schwierigkeiten bei dem Thema haben, entstehen damit zwar neue Möglichkeiten. Dennoch sollten wir immer wieder darüber nachdenken, wie wir die neuen Technologien in unser Leben integrieren – und was wir vielleicht besser lassen. Der Menschlichkeit wegen. Und wir müssen uns fragen, wo genau unsere Grenzen liegen, bevor wir sie versehentlich überschreiten. Denn vielleicht, irgendwann, verschwimmen die Sphären miteinander und es wird gar nicht mehr so einfach sein, zwischen Mensch und Maschine, Virtualität und Realität zu unterscheiden.

Text: Miriam Rönnau
Fotocredit: Getty Images/gremlin